Gesunde Führung – was fällt Ihnen zu diesem modernen Konzept ein? Salat in der Kantine? (Kann nie schaden!) Eigentlich wird mit diesem Begriff aber heute reflektiertes, achtsames Führungsverhalten beschrieben, das sich speziell auch zur Verantwortung des Chefs für die psychische Mitarbeitergesundheit bekennt.
Die Idee des gesunden Führens dürfte naturgemäß vor allem Führungskräfte interessieren. Aber auch Personaler:innen und Mitarbeiter:innen anderer Ebenen finden hier sicherlich hilfreiche Tipps: Im folgenden Artikel geht es um Aspekte wie Führungsstile, Selbstführung, Wertschätzung und Werte, Fördern und Fordern sowie um das Thema Entscheidungen treffen.
1. Vorgesetzte tragen Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter:innen
Während sich klassisches Gesundheitsmanagement in Unternehmen ausschließlich auf Maßnahmen zur Förderung der Sicherheit am Arbeitsplatz und der körperlichen Mitarbeitergesundheit konzentrierte, fokussiert modernes Gesundheitsmanagement zunehmend auch darauf, förderliche Rahmenbedingungen für die psychische Gesundheit der Mitarbeiter:innen zu schaffen.
Einer der wichtigsten Aspekte ist dabei die Führungskultur: Mitarbeiter:innen, die sich von ihren Chefs unter Druck gesetzt, ungerecht behandelt, kontrolliert, ignoriert oder nicht geschätzt fühlen, leiden unter dieser Belastung erheblich. (Über den Einfluss von Führungskräften auf die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter habe ich bereits vor einiger Zeit gebloggt.)
Ein ungesunder Führungsstil hat Auswirkungen auf Wohlbefinden, Gesundheit und damit natürlich auch auf die Leistungen der Mitarbeiter:innen und den Unternehmenserfolg. Der „Fehlzeiten-Report“, eine jährliche Trendstudie des wissenschaftlichen Instituts der AOK, ermittelte 2018 einen Anstieg der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen gegenüber 2009 um rund 64 Prozent. Die durchschnittliche Fehlzeit wegen psychischer Erkrankungen betrug 2018 rund 26 Tage pro Fall – mehr als doppelt so lang, wie die über alle Arbeitsunfähigkeitsursachen gemittelte Ausfallzeit. Im Vergleich mit anderen Krankheiten verursachen psychische Erkrankungen also die mit weitem Abstand längsten Fehlzeiten im Unternehmen!
2. Das eigene Führungsverhalten reflektieren – und authentisch führen
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Führungsstil ist aus meiner Erfahrung ein wertvoller erster Schritt für eine gesunde Führung. Wie führe ich? Eher autoritär, kooperativ oder laissez-faire? Und gilt mein Stil gleichermaßen in allen Bereichen – oder agiere ich situativ, der jeweiligen Aufgabe und dem Reifegrad meines Mitarbeiters entsprechend?
Ganz wichtig ist auch die Frage, ob der Führungsstil zu mir als Person passt. Viele Führungskräfte versuchen einen als ideal wahrgenommenen (zum Beispiel autoritären) Führungsstil zu emulieren und spielen mehr oder weniger gut die Rolle von jemandem, der sie einfach nicht sind. Tatsache ist: Den perfekten Führungsstil gibt es nicht – aber wenn Führungsstil und Persönlichkeit nicht stimmig sind, wirkt sich das so gut wie sicher negativ auf die Arbeitsatmosphäre aus. Gesunde Führung heißt, entsprechend auch seinen Stil zu finden.
3. Nur wer gut für sich sorgt, kann auch gut für andere sorgen
„Was ich von mir erwarte, würde ich von meinen Mitarbeiter:innen NIEMALS erwarten.“ Vielleicht fällt Ihnen spontan jemand ein, von dem diese Aussage stammen könnte? (Sind Sie es eventuell sogar selbst?)
Was auf den ersten Blick nach einem fairen Vorgesetzten aussieht, entpuppt sich beim näheren Hinsehen oft als tickende Zeitbombe. Ich nehme diesen Satz im Führungskräftecoaching gerne zum Anlass, genauer nachzufragen, wie die Führungskraft den Umgang mit sich selbst beschreibt. Sehr oft höre ich, dass die betreffende Person alles andere als achtsam mit sich umgeht – und sich wundert, dass die Arbeitsatmosphäre trotz ihres hohen Arbeitseinsatzes belastet ist.
Die Verantwortung einer Führungskraft schließt auch Selbstführung und Selbstfürsorge ein: Ohne Selbstfürsorge gibt es kein gesundes Führen. Jede Führungskraft (dazu zähle ich auch Mütter, Väter, Lehrer:innen, Erzieher:innen) sollte sich regelmäßig fragen:
- Was tue ich, was mir gut tut?
- Wie tanke ich meine Ressourcen wieder auf?
- Welche Säulen tragen mich im Leben?
Aus leeren Quellen lässt sich nicht schöpfen – Menschen, die selbst kaum Halt haben, können anderen keinen geben. Auch beim Thema Selbstfürsorge und Achtsamkeit sollten Führungskräfte als Vorbild agieren.
4. Werte und Wertschätzung vorleben
Werte und Wertschätzung haben einiges miteinander und zusammen viel mit authentischer, gesunder Führung zu tun. Steve Jobs ist sicherlich ein gutes Beispiel für eine Führungspersönlichkeit, die ihre Werte kannte und ihrem Herzen gefolgt ist. Die Stanford-Rede zeigt es auf besonders eindrucksvolle Weise. Aber vielleicht fragen Sie sich ja „Woher weiß ich, was mein Herz bewegt?“
4.1. Wohin zeigt mein innerer Kompass?
Sie sind unsicher oder haben noch nie richtig darüber nachgedacht, in welche Richtung ihr innerer Kompass zeigt? Lernen Sie mehr über sich selbst – zum Beispiel in einem Gespräch mit Freund:innen oder Familie zum Thema „Welche Werte leiten mich – bei der Arbeit und im persönlichen Leben?“ Oder: Stellen Sie sich vor, Ihr Team hält zum nächsten Anlass (Geburtstag, Jubiläum) eine Rede auf Sie. Wovon würden Sie sich wünschen, dass Ihre Mitarbeiter:innen es besonders an Ihnen hervorheben? Wofür wollen Sie in Erinnerung bleiben? Je mehr Klarheit Sie über die eigenen Werte und Ziele haben, umso souveräner und authentischer werden Sie Ihren eigenen Kurs kennen und halten.
Einmal für das Thema Werte sensibilisiert, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass etliche Ihrer Mitarbeiter:innen oder Kolleg:innen ganz anders ticken als Sie selbst. Das ist nicht immer leicht auszuhalten. Aber Werte müssen nicht bewertet werden – wenn Sie das akzeptieren, werden Sie auch Wertschätzung gegenüber Mitarbeiter:innen ausdrücken können, die ganz andere persönliche Ziele verfolgen als Sie.
4.2. Wertschätzende Führung
Studien haben gezeigt, dass Wertschätzung eine höchst wirksame Form der Motivation ist und zu einem gesunden Arbeitsklima beiträgt. Dazu gehören selbstverständlich Lob und Anerkennung für erbrachte Leistungen. Wichtig aber: Wertschätzende Führungskultur ist kein Kuschelkurs! Im Gegenteil: Es geht darum, den Mitarbeitenden so wahrzunehmen, wie er ist und ihn entsprechend zu fördern und zu fordern. Ein sinnvolles Tool hierfür ist das wertschätzende Feedback.
4.2.1 Wertschätzendes Feedback als gesundes Führungsinstrument
Jeder von uns hat es sicherlich schon erlebt: eine Rückmeldung auf die eigene Person, im positiven wie im negativen Sinne. Mir kommt gerade ein Erlebnis in den Sinn, das schon viele Jahre zurück liegt und über das ich heute glücklicherweise schmunzeln kann (mein damaliger Chef hoffentlich auch). Es war an einem Freitag, als er mir zurief: „Holen Sie mir doch bitte mal den Ausdruck aus dem Drucker, aber erschrecken Sie nicht über den Inhalt.“
„ÄnderungsKÜNDIGUNG“. Das traf mich tief und völlig unvorbereitet; bis zu diesem Zeitpunkt dachte, ich eine sehr geschätzte Mitarbeiterin zu sein. Meinem damaligen Chef möchte ich zugute halten, dass er die Kündigung später zurück gezogen hat.
Bessere Kommunikation und vor allem rechtzeitiges Feedback hätte diese – letztlich durch ein Missverständnis verursachte – für beide Seiten unerfreuliche Situation sicherlich verhindern können. Also: Wie lässt sich gutes Feedback umsetzen?
- Feedbackgespräche ankündigen: Ein Feedbackgespräch sollte nicht zwischen Tür und Angel stattfinden. Stellen Sie sicher, dass das Gespräch rechtzeitig angekündigt ist, damit sich auch Ihr Mitarbeiter darauf vorbereiten kann. Wählen Sie den Zeitpunkt so, dass eventuelle Gefühle von Aufgebrachtsein und Gekränktheit Zeit zum Abkühlen haben – aber die Ereignisse, zu denen Sie Feedback geben möchten, auch noch nicht zu weit zurückliegen.
- Möglichkeit der Selbsteinschätzung geben: Geben Sie Ihren Mitarbeitenden am Anfang des Gespräches die Möglichkeit sich selbst und ihre Arbeit einzuschätzen. Viele Mitarbeiter:innen wissen genau, wo Ihre Stärken und Schwächen liegen und nehmen Feedback bereitwilliger an, wenn sie vorher selbst zu ihrer Leistung Stellung bezogen haben.
- Konkret, aber nicht kleinteilig kritisieren: Streichen Sie Wörter wie „immer“ und „nie“ aus Ihrem Feedback-Gesprächs-Vokabular. Geben Sie Ihrem Mitarbeiter anhand konkreter Schilderungen von Situationen die Chance, genau zu wissen worüber Sie sprechen. Vermeiden Sie dabei aber, Ihr Gegenüber durch kleinteilige Auflistungen von „Verfehlungen“ unter Druck zu setzen: positive Veränderungen werden dadurch eher blockiert. Überlegen Sie sicherheitshalber bereits im Vorfeld etwas genauer, was Sie wie sagen möchten!
- Nachfragen statt Interpretieren: Bleiben Sie beim Faktischen, hüten Sie sich vor Vermutungen hinsichtlich der Umstände, Gründe und Werte Ihrer Mitarbeiter:innen. Solche Interpretationen werden günstigstenfalls als Vorwurf, ungünstigerenfalls als übergriffige Unterstellung gehört und bewirken nur in seltenen Fällen eine Änderung des Verhaltens. Bleiben Sie sachlich und fragen Sie nach, wenn Sachverhalte nicht geklärt sind. Beschreiben Sie Ihre eigene Wahrnehmung, statt den anderen zu bewerten.
- Achtungsvoll sein und immer auch Lob zurückmelden: Geben Sie Feedback aus einer achtsamen, wertschätzenden Perspektive. Idealerweise sollten Sie das Mitarbeitergespräch tatsächlich nur führen, wenn Sie wirklich eine positive Grundhaltung gegenüber Ihrem Mitarbeiter haben. Das geht nun nicht immer auf Kommando; Führungskräfte sind, wie es so schön heißt, „auch nur Menschen“. Etwas trainieren können Sie eine solche Haltung aber schon. Als formales Kriterium gilt zunächst: Vergessen Sie nicht, im Zusammenhang mit Kritik stets auch etwas Positives zu erwähnen.
Wann haben Sie zuletzt ein Feedback erhalten, das Sie in Ihrer eigenen Entwicklung gefördert hat? Wie war das Feedback formuliert und was hat dazu beigetragen, dass Sie diese Rückmeldung gut annehmen konnten?
5. Entscheidungen sicher treffen und umsetzen
Das Thema Entschlusskraft ist für viele Führungskräfte eine gewisse Herausforderung. Eine internationale Studie hat vor einigen Jahren ergeben, dass sich die Deutschen von ihren Vorgesetzten vor allem eines wünschen: sichere Entscheidungen treffen und durchsetzen. Aber auch selbstbewusste Führungskräfte drücken sich häufig um längst fällige Entscheidungen. Warum ist das so?
Oft dürfte eine dysfunktionale Spielart von Perfektionismus schuld daran sein, dass man sich bei der Suche nach der RICHTIGEN Entscheidung in endlosen Grübeleien festfährt. Die Erkenntnis, dass es DIE richtige Entscheidung gar nicht geben kann, die Dinge aber trotzdem entschieden werden müssen, kann helfen, den Stress aus dem Entscheidungsprozess zu nehmen.
Mit dem Treffen von Entscheidungen werden Führungskräfte zudem stark mit eigenen Werten und den Werten des Unternehmens konfrontiert. Je klarer und kongruenter diese sind (siehe oben), umso leichter fällt auch die Entscheidung. Bereits getroffene Entscheidungen lassen aus meiner Erfahrung sehr brauchbare Rückschlüsse auf die eigenen Stärken, Schwächen und Werte zu – vorausgesetzt, man ist bereit diese regelmäßig zu reflektieren und daraus zu lernen.
- Wie treffen Sie Ihre Entscheidungen?
- Wie haben Sie Entscheidungen (auch unbequeme) getroffen, hinter denen Sie noch heute stehen?
- Wie kamen Entscheidungen zustande, die Sie später bereut haben?
6. Coaching für Führungskräfte: Begleitet reflektieren, Kompetenzen aufbauen, individuelle Wege und Lösungen finden und ernst nehmen
Ich hoffe, Sie haben aus meinem Artikel zum Thema gesunde Führung erste Impulse gewonnen. Natürlich lassen sich so komplexe Fragen in der Kürze eines Blogs nicht erschöpfend behandeln – aber das sollen sie auch gar nicht. Am nachhaltigsten wirken immer die Antworten, die man selbst findet! Wenn Sie einen konstruktiven Denkanstoß erhalten haben, freue ich mich. Wenn Sie einen für Sie wichtigen Aspekt vermisst haben, freue ich mich ebenso über einen Hinweis.
Sie möchten mit mir über konkrete Probleme oder allgemeine Herausforderungen in Ihrem beruflichen Alltag sprechen? Zu meinem Angebot als Coach gehört die individuelle Beratung für Führungskräfte.
Bleiben Sie in Kontakt – Ihre Fragen, Antworten und Anregungen sind mir jederzeit willkommen!
Nehmen Sie gerne Kontakt mit mir auf, und wir loten gemeinsam aus, ob und wie ich Ihnen weiterhelfen kann.
Ihre Esther Kimmel